Von Aussteigern & Träumern in einer beschleunigten Welt
Willkommen in der neuen Moderne. Entschleunigung, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit werden immer bedeutender, ein großer Trend, gesellschaftlich als auch wirtschaftlich und trotzdem laufen wir jeden Tag noch ein bisschen schneller. Gerade die Generation der Millennials, also der heute 20 – 40-Jährigen, hat dieses Doping bereits mit der Muttermilch aufgesogen. Mit der Bildung der eigenen Gedankenwelt beginnt der Wettlauf ums Leben. Niemals war eine Generation so frei, so voll unendlicher Möglichkeiten wie heute. Bist du am richtigen Ort zur Welt gekommen, dann steht dir die Welt offen. Dem einen mehr, dem anderen weniger.
Individuelle Lebensmodelle, Optimierung der Lebenszeit und der uneingeschränkte Genuss. Frei zu sein bedeutet heute sich nicht lange mit etwas aufhalten zu müssen, sondern die Initiative zu ergreifen. Das Beste aus seiner begrenzten Zeit zu machen. Ein Leben ist zu kurz und vor allem wissen wir ja nicht wie lange es dauert. Und so laufen wir von morgens bis abends nur um zu sehen, was sich hinter der nächsten Abzweigung versteckt. Von überall her werden wir rund um die Uhr mit Informationen gefüttert, ständig gibt es etwas Neues und wenn auch nur kurz mal Stille einkehrt, dann fühlen wir uns schon gelangweilt, weil wir konditioniert sind darauf, immer mit etwas Neuem versorgt zu werden. Wir hinterfragen nicht, warum wir laufen, weil jeder läuft und man möchte ja nicht der sein, der zurückbleibt.
Zwischenmenschlich kommt es im natürlichen Lauf der Zeit vor, dass ein Begleiter in einer Phase des gemeinsamen Weges einmal langsamer wird oder gar stehen bleibt. Ein anderes Tempo einschlagen muss. Hätten unsere Großmütter vielleicht auch vereinzelt noch manche Eltern geduldig gewartet, haben wir keine Zeit zu verlieren. Hinter der nächsten Kurve könnte schon etwas Neues warten, was besser zu unserem Tempo passt. Stehenbleiben ist ein No-Go unserer Generation. Warten und geduldig sein eine viel zu altmodische, ja verschwenderische Angewohnheit jener, die scheinbar nicht vorankommen möchten. Das Leben viel zu schade um zu warten. Man hat ja nur das eine Leben und das sollte man nicht verschwenden.
Beruflich fühlen wir uns nach nur wenigen Jahren gelangweilt, über- oder unterfordert. Sein Leben lang den selben Job auszuüben ist etwas, das man sich nicht mal vorstellen möchte. Der Beruf soll Berufung sein, einen Sinn haben, gut bezahlt sein, damit man keine Sorgen hat und vor allem immer abwechslungsreich bleiben. Kein Hamsterrad, dessen Zweck es ist, uns in Bewegung zu halten. Leider finden nur die wenigsten diesen perfekten Job für sich und darum gibt es in den Unternehmen eine immer mehr werdende Fluktuation. Die moderne Freiheit erlaubt es auch ein Leben lang auf der Suche danach zu bleiben. Durch die gute Bildung und den Sozialstaat gibt es ein Sicherheitsnetz, dass uns im Zweifel auffängt. Worauf also Rücksicht nehmen?
Selbst örtlich ist man nicht mehr gebunden. Die Heimatverbundenheit hält sich immer mehr in Grenzen. Wird es an einem Ort zu kompliziert oder schwer, dann nehmen wir unser Hab und Gut und gehen woanders hin. Sprachen kann man lernen, materielle Dinge kann man überall hin transportieren, wegwerfen und neu kaufen. Auch wenn unsere Wurzeln an unserem Heimatort gewachsen sind, so sind wir nicht wirklich tief verwurzelt damit. So lange unsere Eltern noch dort leben, können wir ja jederzeit auf Besuch zurückkehren, die Wurzeln in die bekannte Erde hineinstecken. Aber nicht zu tief. Nicht stecken bleiben.
Moderne Kommunikationsmittel lassen uns den Kontakt von überall aus halten. Wir haben Zugriff zu beinahe allem Wissen dieser Welt, fast jeder hat diesen Zugriff jederzeit selbst auf dem Weg bei sich. Und doch gibt es sie immer zahlreicher, diese Träumer, die ausbrechen, stehen bleiben und die Wurzeln tief in die Erde schlagen. Das Bild, das wir davon haben ist etwa die Blockhütte in Alaska an einem See, doch leben diese Träumer auch direkt in der Nachbarschaft, nur weiß niemand, dass sie Träumer sind. Oder sie sind so seltsam, dass man sich besser nicht damit aufhält.
Und so stellt sich die Frage, ob man am Ende mehr von der Welt gesehen hat, wenn man immer nur gelaufen ist. Mit Scheuklappen auf das Vorwärts fokussiert ist. Man ist vielleicht weiter am Weg vorangekommen, hat aber niemals wirklich die Zeit gefunden genauer hinzusehen. Man hat am Ende seiner Tage eine beachtliche Strecke geschafft, ist mal kürzer, mal länger vielen unterschiedlichen Menschen auf dem Weg begegnet, doch hatte man dadurch mehr gesehen? Hat man „mehr“ vom Leben als jene, die den Weg langsamer oder anders gegangen sind, sich auch mal umgeblickt haben, mal stehen geblieben sind, gewartet haben und vielleicht viel weniger Menschen kennengelernt haben? Diese „Träumer“, die man als Dauerläufer mit dem Blick über die Schulter nur belächeln kann.
Es kann niemand wirklich beantworten. Hat man doch selbst erlebt, dass viele Stehengebliebene der älteren Generationen am Ende ihrer Tage nie wirklich in die Welt hinausgezogen sind, für den eigenen Geschmack nur einen kleinen Teil der Welt erkundet haben. Den Horizont nicht bis zum Maximum erweitert haben. Nie alle ihre Träume voll und ganz ausgelebt haben. Ängste, Zwänge und Moral verhindert haben, dass zu tun, was man eigentlich geträumt hatte. Nachweislich so vieles versäumt haben. Und trotzdem findet man viele in den vorherigen Generationen, die von sich behaupten, dass ihr Leben glücklich gewesen ist und war. Auch wenn man vielleicht viel versäumt hat, man es dennoch nicht bereut, weil man dafür etwas Anderes erlebt hat. Viel weniger, dafür aber viel intensiver erlebt hat
Auch in der Generation der „Millennials“ zeigt sich immer mehr, dass auch der Ansatz des Dauerlaufens nicht wirklich funktioniert. Burnout, ADHS und Depressionen sind ein ansteigender Beweis dafür, dass das stete Vorwärts auch persönlich nicht für ein besseres Leben sorgt. Im Gegenteil zwingt es jene, die es übertrieben haben dazu, stehen zu bleiben. Oder mittels Chemie schnell wieder lauffähig zu werden. Der Klimawandel, die Schere zwischen Reich und Arm, das Sterben der Artenvielfalt und eine Wirtschaftspolitik nach dem Motto „schneller – besser – billiger“ sind nur ein paar der plakativsten Ergebnisse dieses weltweiten Wettlaufs. Die Gewinner des Wettlaufs sind einfach zu erklären, ob sie dadurch ein besseres Leben erhalten, das muss jeder für sich selbst erkennen.
In diesem Sinne, überlegt Euch gut, ob ihr die Zeit habt.
Markus
½ Träumer, ½ Läufer.
Könnte von mir sein 😂
Ehemals extrem Läufer – jetzt extrem Träumer ..
Leider ist das nicht einfach für TRÄUMER, vor allem in dieser Gesellschaft..